Bevor der Bau des Hindenburgdamms ab dem Jahre 1927 eine dauerhafte Verbindung zwischen Sylt und dem Festland schuf, waren die Sylter auf sich allein gestellt. Besonders, wenn die Insel über die harten Wintermonate in dickes Eis verschlossen war, durch das die Dampfer, die ihnen normalerweise Post, Medikamente und Lebensmittel überbrachten, nicht fahren konnten. In Zeiten solcher Entbehrung wäre Sylt von der Außenwelt abgeschnitten gewesen – hätte es nicht die Eisbootfahrer gegeben. Es waren die Männer, die aus der Kälte kamen.
Mit dem Eisboot von Sylt aus durchs Wattenmeer
Wenn sich an einem solch eisigen Wintertag, an dem man nicht einmal seinen Hund vor die Tür jagen mochte, wieder einmal vier oder fünf Mann von der Sylter Ostküste aus auf den Weg machten, dann stand ihnen ein Gewaltmarsch durch die weiße Wüste bevor. Zumeist in Morsum begann eine Reise, die den Eisbootfahrern alles abverlangte. In ihren hölzernen Booten ruderten sie zwischen den großen Eisschollen durch das Wattenmeer.
An flachen oder besonders vereisten Stellen mussten sie aussteigen ihr Boot bis zur nächstgelegenen tieferen Stelle ziehen. So kämpften sich die Männer über eine Strecke von zwölf Kilometern hinweg bis zum sicheren Festland. Nicht selten erschwerte Nebel zusätzlich die Sicht und machte es den Eisbootfahrern schwer, die Orientierung nicht zu verlieren. Oder aber, wenn sie an dünnen Stellen im Eis einbrachen, ihnen das kalte Wasser an den Mänteln und Stiefeln festfror und jeder weitere Schritt zu einer kleinen Qual wurde.
Bericht eines Sylter Eisbootkapitäns
Doch nichts davon hielt die mutigen Männer davon ab, sich immer wieder auf den beschwerlichen Weg zwischen Sylt und dem Festland zu machen – allein zwischen den Jahren 1885 und 1913 genau 639 mal. Auf einer Eisbootfahrt im Januar 1868 zwischen dem dänischen Emmerleff und Munkmarsch entkamen die Seeleute nur knapp dem Kältetod. Was sie bei ihrer Fahrt erleben mussten, hat der Sylter Kapitän Thomas Selmer in einem detaillierten Bericht festgehalten, der die Strapazen dieser Gewaltmärsche anschaulich erahnen lässt:
“Den 25. Januar morgens um 3 Uhr hatten wir unser Boot in tieferes Wasser gebracht. Der Wind nahm verbunden mit Frost und Schneefall heftig zu.” Seinem Bericht nach war zudem noch starker Seegang: Das Wasser, das ins Boot schwappte, verwandelte sich sofort in Eis. “Auch entwickelte sich eine sechs bis sieben Zentimeter dicke Eisrinde an der Außenseite. Da war ich gezwungen, in Richtung Jordsand (eine kleine Insel zwischen List und dem dänischen Festland) zu steuern.”
Das Eis, so berichtet der Kapitän weiter, sei so stark gewesen, dass das Boot sofort darin feststeckte. “Um 8 Uhr begann die Arbeit, nach Jordsand zu kommen. Es war eine Strecke von 200 Schritt. Auf dieser Strecke wurde mit drei Mann bis in die Abendstunden gearbeitet. Zuweilen fielen wir bis an den Leib ins Wasser, und die Kleider und Stiefel froren uns fest.
Knapp aufs Festland gerettet
Endlich waren wir mit dem Boot auf Jordsand angekommen, wo wir eine kleine, nur im Sommer von einem Hirten bewohnte Hütte halb voll Schnee vorfanden. Wir versuchten, unsere Kleider auszuziehen und selbige soviel wie möglich aufzutauen und zu trocknen. Müde und schläfrig, wie wir waren, verbrannten wir unsere Strümpfe.
Am nächsten Morgen wurde die Fußtour angetreten. Eine halbe Stunde ging es hastigen Schrittes vorwärts. Dann kamen in Berge zusammengeschobene Eisschollen, die wir manchmal auf Händen und Füßen überklettern mussten. Endlich kam eine Stelle, die tief genug für das Boot war. Wir mussten dort bis über die Hüften durchs Wasser waten. Um kurz nach elf Uhr vormittags landeten wir endlich auf dem Festland, woselbst sich auch sofort nach uns die Flut einstellte.”
Das Ende der Eisbootfahrer
Vier Jahre nach dieser letzten Fahrt notierte die “Sylter Zeitung” in einer Sonderausgabe anlässlich der Dammeinweihung: “Die Fahrten der Eisbootfahrer waren stets sehr gefährliche Unternehmungen. Nur die große Umsicht, Tatkraft und Entschlossenheit gaben Gewähr für die glückliche Durchführung. Es ist eine Ehrenpflicht, an dieser Stelle jener Männer zu gedenken, die die Eisbootfahrten im Interesse der Allgemeinheit unter Einsatz ihres Lebens ausgeführt haben.” Foto: Archiv Deppe